GEMEINDEN

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«Das Urner Dorf» von Karl Iten

Andermatt «Heute gehe ich zu Fuss von Göschenen nach Andermatt, und – o Wunder – plötzlich wächst alles wieder ins Gewaltige, die Felsenlandschaft türmt sich empor ins gleissende Mittagslicht, und ich fühle mich winzig klein zwischen diesen Steinwänden. Zähnefletschend starrt der blutrote, gabelbewehrte Teufel auf mich herab, und von unten, aus dem granitenen Hexenkessel der Schlucht, zischt und gurgelt die Reuss zu mir herauf. Kühl und schaudernd überkommt es mich: Ginge man hier weiter, es käme nur noch das Ende der Welt! Die brandschwarze Nacht des Urnerloches nimmt mich auf, und dann – plötzlich – diese Weite, dieses Licht, diese Befreiung! Vielbesungenes, immer wieder neues Erlebnis! – Hier, im weiten Tal, liegst du, Andermatt, du freundliches Urner Dorf! Du atmest den ganzen spröden Reiz eines Fremdenortes im Gebirge: Die kleinen Fenster in den Fassaden und die zahllosen Kamine auf den Dächern predigen selbst im Hochsommer einen tiefen und strengen Winter. Noch immer durchziehen dich die Steinplattengeleise auf der Strasse, zweckentfremdet zwar, doch erhaltenswert als letzte Zeugen aus den Tagen der Gotthard-Post. – Im Sommer und im Hochwinter liegt ein Hauch internationaler Betriebsamkeit über deinen Gassen, und in deinen Hotels spielen die Orchester mondäne Unverbindlichkeiten. Aber im Spätherbst, wenn beim Einnachten die grauen Nebel als fahle Wand aus der Schöllenen steigen, lauern hinter allen Strassenecken die alten, wiedererwachten Gespenster und blicken mit bleichen Fratzen in die erleuchteten Stuben; doch schaut man auf, verschwinden sie in der Nacht, blasse Schemen, irgendwelchen schweren, lastenden Gedanken entstiegen oder anderen, unauslotbaren Tiefen der menschlichen Seele.» Iten Karl; Eine beschauliche Reise durch den Kanton Uri festgehalten in einer Folge von Linolschnitten und Texten von Karl Iten; Altdorf 1968. -------------------------