GEMEINDEN

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«Das Urner Dorf» von Karl Iten

Seelisberg «Bist du schon mit dem Schiff hinüber zum Rütli gefahren? Hast du noch das Zischen und Rauschen des von der Schiffsschraube zu milchig-grünem Schaum aufgewühlten, schattendunklen Wassers im Ohr? Hörst du noch, wie es brodelte, als stürze sich ein wilder Bergbach in die Fluten des Vierländersees? Und weisst du noch, wie die schroffen Felswände ihre skurrilen Schichtungen jäh aus den sonnengrünen Wassern türmten, in einer barocken, fast erdrückenden Fülle von Formen? Erinnerten sie dich nicht ein wenig an die in verstaubtem Gold erstarrten, prunkvollen Altäre des Jodokus Ritz? - Nun denn, so steige in Gedanken noch einmal hinauf über den steilen Pfad auf die Terrasse von Seelisberg. Hier wird dir das unruhvolle Herz froh und weit. Silberlicht des Vormittags! 0 Traum der sanften Nachmittagsbläue! Beseligt fällt dein Blick auf den makellosen Spiegel des Urner Sees, taucht in das lockende Azur und sinkt in Tiefen unserer Geschichte, die unergründlich warten und ruhen seit Urzeiten. Wüsstest du nicht, dass unter dir das Rütli liegt, du ahntest es, dass hier die Mitte der Schweiz sein muss! Ein Dampfer fächert hinter sich eine silberne Spur auf und schneidet das weiche, blaue Tuch des Sees in zwei Teile. Die Landschaft klingt dir entgegen als festlicher Akkord erdhaften Grüns, als eine nicht mehr enden wollende Kadenz blauer Schatten, die in allmählichen Übergängen in den ruhigen Grundton des Himmels überführt. Der Glanz der schneebedeckten Gipfel ist nicht mehr Grenze, nur noch ferne Lockung, nur noch kaum deutbare Stufe zwischen Fels und unbegrenztem Sommerhimmel. Deine Seele möchte sich hinausschwingen in die lichte Feme; aber du stehst nur und schaust und schaust ... und du schwankst zwischen schwärmerischem Entzücken und unbändiger Lebensfreude.» Iten Karl; Eine beschauliche Reise durch den Kanton Uri festgehalten in einer Folge von Linolschnitten und Texten von Karl Iten; Altdorf 1968. -------------------------