Suizid als Todesursache
In der Bibel wird der Suizid (Selbstmord, Freitod) kaum thematisiert. Die wenigen Zeugnisse bleiben beschreibend: Saul und sein Waffenträger etwa stürzen sich in ihre Schwerter, um ehrenvoll Angreifern zu entgehen (1. Samuel 31, 1-6). Judas Iskariot hat sich dem Matthäusevangelium zufolge nach dem Verrat an Jesus erhängt (Matthäus 27, 5). Kommentiert oder verurteilt werden die Taten jedoch nicht.
Trotzdem lehnte das Christentum die Selbsttötung ab. Dies erfolgte aus der theologischen Hochschätzung des Lebens. Bei aller Hoffnung auf das Leben in der Ewigkeit wurde immer klargestellt, dass auch das irdische Leben von Gott geschaffen und geliebt ist. Zum anderen hat sich die christliche Haltung in Abgrenzung zur antiken Umwelt entwickelt, in der die Vorstellung des möglichst leichten, würdevollen oder schnellen Sterbens üblich war. Dagegen lehnte das Christentum eine solche Eigenmächtigkeit des Menschen ab, weil allein Gott über das Leben verfüge. Leiden und Schmerzen erschienen als Prüfungen Gottes. Suizid wurde als Sünde verstanden und «Selbstmörder» wurden nicht kirchlich, sondern in «ungeweihter Erde» bestattet.
Der Suizid war auch im weltlichen Recht bis ins 19. Jahrhundert strafbar war. Die Angehörigenmussten sich auch noch Sorgen um das Seelenheil ihrer Verstorbenen machen, denn «Selbstmörder», die sich vermeintlich an Gottes Geschenk des Lebens versündigt hatten, würden nicht in den Himmel kommen.
In der Urner Sage finden «Selbstmörder» wenig Platz. In dem Stall, wo sich einer erhängt hat, ist es nicht mehr geheuer. Der Ort «tolt» (duldet) kein Vieh mehr. Das «Haupt», das man am Abend hinstellt, ist am Morgen tot. Wer freiwillig aus dem Leben schied, musste als «schwarzer Mann» wandeln, bis die ihm bestimmt Lebenszeit abgelaufen war. Die Leichen der «Selbstmörder» durften nicht durch die Türe, sondern mussten durch ein Fenster herausgeschafft werden, weil durch die Türe herein der Heiland zum «Verwahren» (einen Sterbenden mit den Sakramenten versehen) getragen wird. Der «Selbstmörder» war nicht würdig, den gleichen Weg getragen zu werden.
Gemäss Urner Volksrecht kam, wenn sich jemand erhängt hatte, die Obrigkeit. Einer stellte sich unter oder neben den Erhängten, zog mit einem Schwert, so weit er konnte, einen Ring um sich herum. Soweit der Ring reichte, bekam die Obrigkeit das Eigentumsrecht über Grund und Boden und was darauf stand. Im alten Urner Landbuch lässt sich diese Rechtsgewohnheit jedoch nicht belegen. Die Sage behauptet zudem, dass, wer sich selber «lyblos» machte, den schönsten Tod hatte, denn ihm spielte der Teufel auf.
Mit den Hospizen entstand dann eine ganz neu organisierte Kultur des Mitleids, der Barmherzigkeit und Pflege für Kranke, Leidende und Sterbende. Die Menschen mit ihrer Not in den Blick zu nehmen ist heute der kirchliche und diakonische Weg im Blick auf den Suizid. Verurteilung und Bestrafung sind heute seelsorglicher Begleitung, Trost und Prävention gewichen.
Das schweizerische Bundesgericht hat 2006 in seinem Urteil (BGE 133 I 58) den Suizid neu als ein Menschenrecht formuliert: «Zum Selbstbestimmungsrecht im Sinne von Artikel 8 EMRK (Europäische Menschenrechtskonvention) gehört auch das Recht, über Art und Zeitpunkt der Beendigung des eigenen Lebens zu entscheiden; dies zumindest, soweit der Betroffene in der Lage ist, seinen entsprechenden Willen frei zu bilden und danach zu handeln.»
Das schweizerische Strafrecht bestraft lediglich Personen, die aus selbstsüchtigen Beweggründen jemanden zum Suizid verleiten oder ihm Hilfe dabei leisten, sowohl bei vollendeter Tat als auch beim Versuch. Diese Formulierung ermöglicht in der Praxis eine grosse Grauzone für die Sterbehilfe. Damit gehört die Schweiz in dieser Hinsicht zu den liberalsten Ländern. In der Schweiz ansässige Organisationen wie «Exit» und «Dignitas» bieten ihren Mitgliedern für geringen finanziellen Aufwand Sterbehilfe an.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat am 2011 das Recht auf Beendigung des eigenen Lebens ebenfalls als Menschenrecht anerkannt.
In der Schweiz sterben täglich zwei bis drei Menschen durch Suizid. Selbsttötungen stehen häufig mit psychischen Krankheiten in Verbindung (Depression oder Alkoholkrankheit) und erfolgen oft in einem psychischen Ausnahmezustand, in welchem die Fähigkeit, mit belastenden Situationen umzugehen, eingeschränkt ist. Suizide gehören nach Krebs- und Kreislauferkrankungen zu den häufigsten Gründen für frühzeitige Sterblichkeit. Ausserdem haben sie beträchtliche Folgen für Angehörige und Nahestehende.
Die Suizidrate lag in Uri jahrzehntelang deutlich unter dem schweizerischen Durchschnitt. Seit den 19 Jahren hat sich dieser jedoch dem nationalen Mittelwert annähert. Die Zahl der Suizide unterliegt teils starken jährlichen Schwankungen. Von 1891 bis 1896 gab es in Uri sechs Jahre lang keinen Suizid. Am meisten Suizide gab es mit einem Dutzend Fälle im Jahre 1984 zu verzeichnen.
Die 1’002 Suizidfälle im Jahre 2018 verteilten sich auf folgende Methoden:
- Erhängen (28,9 %)
- Schusswaffen (18,3 %)
- Sturz (14,5 %)
- Vergiftung (13,3 %)
- Schienensuizid (12,8 %)
- Ertrinken (5,7 %)
- Übrige Methoden (6,6 %)
Quellen, Literatur: Müller Josef, Sagen aus Uri, Nr. 88, 956, 1007 und 1251; Schardien Stefanie, Freitod – Selbstmord – Suizid: Was sagt der christliche Glaube dazu? In: www.sonntagsblatt.de (09.01 2021); Schweizerisches Gesundheitsobservatorium, Suizid und Suizidhilfe, in: www.obsan.admin.ch (2021).
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Suizidfälle (5-Jahresmittelwert) pro
100'000 Einwohnerinnen und Einwohner
bis 2001: HSS - Historische Statistik der Schweiz D.24 und D.34;
5-Jahresmittelwert Berechnung durch URIkon
ab 2002: Schweizerisches Gesundheitsobservatorium (Obsan),
«Suizid und Suizidhilfe» (2021).
EREIGNISSE IM DETAIL
1925
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Donnerstag, 3. Dezember 1925
Mysteriöser Todesfall einer russischen Sängerin bei der Teufelsbrücke
Mysteriöser Todesfall in Andermatt. Zinaida Jurewskaja, gefeierte Sängerin an der Staatsoper in Berlin, weilt in Andermatt zum Erholungsurlaub. Nach einem Ausflug zur Teufelsbrücke kehrt die Sängerin nicht mehr zurück. Oberhalb der Teufelsbrücke werden ein Fläschchen Morphium, ein Rasiermesser sowie Blutspuren gefunden. Es wird vermutet, dass die Sängerin Selbstmord begangen hat. Der Ehemann möchte ihr ein Denkmal in den Schöllenen setzn (Bronzestatue). Am Karsamstag, 3. April 1926, wird in der Nähe der Sprengibrücke ihre Leiche entdeckt. Das linke Handgelenk weist eine Schnittwunde auf. Da die stark in Verwesung übergehende Leiche nicht länger aufbewahrt werden kann, wird sie in Andermatt beerdigt.
UW 50, 12.12.1925; 45, 10.4.1926; 34, 13.3.1926
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1929
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Vor Selbstmord bewahrt
Ein Bauer trifft auf seinem Weg ins Gitschental auf ein deutsches Ehepaar, welches blutüberströmt im Walde liegt. Sie haben sich in Selbstmordabsicht die Adern aufgeschnitten. Die Frau erreicht selbstständig das Tal, währenddessen der Mann getragen werden muss. Das Ehepaar hat die letzten Tage als Kurgäste in einem Hotel in Flüelen gelebt.
UW 36, 7.9.1929
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2017
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Samstag, 25. Februar 2017
Suizid nach häuslicher Gewalt
Ein 53-jähriger Schweizer nimmt sich in der Nacht auf Samstag in Andermatt das Leben. Nach einem Fall von häuslicher Gealt ist der gebürtige Andermatter am Freitagabend aus seiner Familienwohnung in Sarnen weggewiesen worden, worauf er sich in seine Zweitwohnung in Andermatt begab und sich dort einschliess. Da im Haus Waffen vermutet werden, erfolgt am Samstagmorgen eine polizeiliche Aktion unter Einbezug der Sondereinheit Luchs. Der Mann ist zu diesem Zeitpunkt jedoch schon tot.
UW 17, 1.3.2017, S. 20.
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GESELLSCHAFT
GESUNDHEIT
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